07.06.2023
Interview mit Anisa Rizvanolli (Fraunhofer CML) zu IQHH

Institute setzen auf Quantencomputer & schaffen Synergien

Was ist das Fraunhofer CML?

Wir sind das Fraunhofer Center für maritime Logistik und Dienstleistungen und damit eine von 72 Einrichtungen der Fraunhofer Gesellschaft. Diese ist mit insgesamt ca. 30.000 Mitarbeitern eine der größten Organisationen für angewandte Forschung in Europa. In Hamburg beim Fraunhofer CML fokussieren wir uns auf die Konzeption, Entwicklung und Umsetzung von innovativen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen aus der Schifffahrt und der maritimen Logistik. Wir entwickeln zusammen mit unseren Kunden aus der Wirtschaft passgenaue Lösungen für deren strategische und operative Herausforderungen, von Netzwerkplanung für eine Schiffsflotte bis hin zu automatisierten Einsatzplanung am Bord. Nach dem Leitmotiv von Fraunhofer „Forschung für die Praxis“ kümmern wir uns darum, dass die neusten Erkenntnisse aus der Forschung und Technik in die Lösungen einfließen.

 

Wie sieht es beim Fraunhofer CML mit Quantencomputing aktuell aus? Was ist der Stand?

Als Fraunhofer Gesellschaft liegt unser Auftrag in der angewandten Forschung. Daher entwickeln wir vor allem potenzielle Anwendungsfälle und Algorithmen für Quantencomputer und Zwischentechnologien wie z.B. Quantenannealer, die momentan eine höhere technologische Reife aufweisen als universelle Quantenrechner.

Aktuell arbeiten wir an einem maritimen Netzwerkproblem, mit Daten von einer Partnerreederei. Dabei sollen Schiffe maximal effizient eingesetzt werden, um Massengüter von Produktionshäfen zu Verbraucherhäfen zu transportieren. Unter anderem sind Kapazitätsvorgaben und Zeiträume sowohl für die Häfen als auch für die Schiffe zu beachten. Oft werden solche Planungen von Menschen manuell durchgeführt. Das kostet also Arbeitszeit, ist erfahrungsbasiert und ist natürlich auch nur begrenzt schnell, so dass gerade auch spontane Änderungen im Ablauf nicht so leicht berücksichtigt werden können. Zum Beispiel könnte ein Schiff irgendwo länger aufgehalten werden als geplant und dadurch die Folgeplanungen stören. Automatisch und möglichst schnell neu planen zu können erhöht dann einfach die Flexibilität und somit auch die Stabilität der Lieferkette.

Probleme wie dieses sind nicht nur für den Menschen schwer zu lösen. Selbst die besten Maschinen, die wir heute zur Verfügung haben, schaffen es ab einer gewissen Größe des Problems, nicht eine optimale Lösung in absehbarerer Zeit zu finden. Quantensysteme versprechen mehr Kapazitäten in dieser Hinsicht. Daher arbeiten wir gerade daran das Problem zu formalisieren und die Daten so weit vorzubereiten, dass die Berechnungen automatisiert durchgeführt werden. Unsere ersten Rechnungen auf einem Quantenannealer haben bereits funktioniert. Jetzt arbeiten wir daran die Performance zu verbessern und einen Demonstrator, also eine einfache graphische Darstellung des Problems und seiner Lösung, zu implementieren.

Allerdings betrachten wir auch weitere potenzielle Anwendungsfälle, wie zum Beispiel Packungsprobleme, Scheduling für Personal- und Wartungsplanung, Portofolio Optimierung für die Schiffsfinanzierung, Yard Optimierung, Strömungssimulationen.

 

Alle vier Einrichtungen haben Quantencomputing als potenziell disruptive Technologie in ihrem Bereich identifiziert und entschieden daran zu forschen.

 

Unter dem Namen IQHH sollen künftig verschiedene Fraunhofer Institute zusammen zu möglichen Anwendungen von Quantencomputing forschen. Welche Institute sind dabei und wie kam es dazu?

Es sind alle Hamburger Fraunhofer Einrichtungen dabei, also neben uns als CML das Fraunhofer ITMP (Translationale Medizin und Pharmakologie), das Fraunhofer IAPT (Additive Produktionstechnologien) und das Fraunhofer IAP (Angewandte Polymerforschung). Alle vier Einrichtungen haben Quantencomputing als potenziell disruptive Technologie in ihrem Bereich identifiziert und entschieden daran zu forschen. Da Quantencomputing bei keinem dieser Institute das Kernthema ist, sondern eigentlich in allen Fällen Mittel zum Zweck, ist der Aufbau des Know-How sehr aufwändig. Der Zusammenschluss im Rahmen von IQHH soll hier Synergien bringen.

 

Wie fügt sich das IQHH in das Hamburger QT Ökosystem ein?

Im Hamburger QT Ökosystem wollen wir neben Hardwareprojekten wie Rymax One eben auch die Entwicklung von Anwendungen und Algorithmen vorantreiben. Ehrlicherweise glaube ich auch, dass dieses Thema bis heute im Verhältnis zur Hardwareentwicklung zu wenig Aufmerksamkeit und Fokus erhält. Für den Außenstehenden mag das vielleicht erstmal nicht offensichtlich sein, aber man muss wissen, dass jeder Geschwindigkeitsvorteil eines Quantencomputers im Algorithmus gewonnen wird. Quantencomputer sind nicht genau das Gleiche wie klassische Computer in schneller, sondern haben ein anderes Rechenmodell. Sie können nämlich mit statistischen Zuständen arbeiten und haben allgemeinere logische Operationen. Nur wenn ich das nutzen kann, um einen Rechenweg abzukürzen, habe ich ein Vorteil von einem Quantencomputer. Bei harten Zahlen wie Speicherplatz oder meistens auch Taktfrequenz ist ein klassischer Computer die bessere Wahl. Die Frage bei welchen Anwendungen und mit welchen Algorithmen ein Quantencomputer also wirklich schneller ist als ein klassischer Computer ist daher unumgänglich. Sonst bringt uns die beste Hardware nichts.

 

Die Frage bei welchen Anwendungen und mit welchen Algorithmen ein Quantencomputer also wirklich schneller ist als ein klassischer Computer ist daher unumgänglich. Sonst bringt uns die beste Hardware nichts.

 

Welche Chancen und Hoffnungen sind mit dem Zusammenschluss verbunden?

Wir hoffen in diesem Projekt mehrere konkrete Anwendungsfälle (also nicht nur Themengebiete) für Quantencomputer identifizieren zu können. Wie gesagt hängt die Frage nach den Anwendungsfällen dabei immer eng mit dazugehörigen Algorithmen zusammen. Hier wollen wir mindestens Know-How aufbauen und die Anwendungsfällte korrekt und realitätsnah formalisiert haben. Wenn wir zusätzlich noch Algorithmen (weiter-) entwickeln könnten, wäre das perfekt.

 

Was werden die Forschungsschwerpunkte sein?

Dadurch, dass wir nach Anwendungsfällen suchen, müssen wir offen auf unsere Themengebiete schauen und uns dann ganz bestimmte Probleme heraussuchen. Diese Probleme auszusuchen ist Teil der Arbeit. Aber im maritimen Bereich hatte ich bereits Routing, Binpacking und Strömungssimulationen angesprochen. Im Bereich Nanotechnologie betrachten wir insbesondere Katalysatoren. Aktuell interessieren uns besonders Katalysatoren für die Wasserstoffherstellung. In der Wirkstoffforschung hoffen wir die Auswahl von Wirkstoffkandidaten in der frühen Forschungsphase unterstützen zu können. Im Bereich der additiven Fertigung sollen Simulationen helfen Ausschussware frühzeitig während der Produktion erkennen zu können. Im besten Fall ließe sich dies auf die Dauer erweitern, so dass die Produktion ein Feedback bekommt, um Produktionsfehler direkt zu vermeiden.

 

Gibt es schon erste Projekte, in den Quantencomputing eingesetzt wird?

Im Bereich Routing haben wir auf einem Quantenannealer gerechnet und die Performance mit einem klassischen state-of-the-art Algorithmus verglichen. In dieser Rechnung sehen wir aber noch einiges an Verbesserungspotential und arbeiten daran dieses zu verwirklichen. In den anderen Projekten sind wir noch nicht ganz so weit. Da haben wir ja erst im April angefangen.